Interview:„Das Thema Wohnen muss noch stärker in den Fokus der Politik“

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Titelbild: Das Thema Wohnen muss noch stärker in den Fokus der Politik

Interview

Interviewpartner

Uwe Eichner

Vorsitzender der Geschäftsführung, Vivawest GmbH

VIVAWEST bietet rund 300.000 Menschen ein Zuhause an Rhein und Ruhr. Der Wohnungsanbieter hat 2022 mit dem Modellprojekt „Bergmannsgrün“ in Dortmund eine grüne Quartiersentwicklung auf den Weg gebracht, die sich zum Vorzeigeprojekt für das ganze Ruhrgebiet entwickeln könnte: grün und nachhaltig, aber trotzdem bezahlbar und mit einem Wohnungsangebot für unterschiedliche Zielgruppen. Wir haben den Vorsitzenden der Geschäftsführung, Uwe Eichner, in der Unternehmenszentrale am Standort der ehemaligen Zeche Nordstern in Gelsenkirchen zum Interview getroffen und über die Herausforderungen in Zeiten steigender Zinsen und Baukosten gesprochen.

Die Bundesregierung hat sich das Ziel gesetzt, bis 2045 klimaneutral zu werden – auch im Gebäudebestand. VIVAWEST hat dazu eine eigene Klimaschutzstrategie aufgesetzt.

Richtig – und zwar schon bevor die Bundesregierung das Ziel ausgerufen hat. Wir haben 2021 eine Klimaschutzstrategie erarbeitet, vor dem Hintergrund, bis 2045 klimaneutral sein zu wollen. Das betrifft alle unsere knapp 120.000 Wohnungen in NRW. Und wir mussten uns die Frage stellen, wie wir es hinbekommen, dass es sowohl finanzierbar als auch sozial verträglich ist. Da haben wir zuerst geschaut: Wie viele Wohnungen hängen an der Fernwärme und wie viele müssen weg von Öl und Gas, sodass wir die Energieversorgung dort künftig auf eine Kombination aus Wärmepumpen und Photovoltaik-Anlagen umstellen sollten? Dabei unterscheiden wir, ob der Bestand schon energetisch modernisiert wurde, so dass dort nur der Energieträger ausgetauscht werden muss oder ob weitere energetische Maßnahmen erforderlich sind. Klimaschutz beinhaltet aber auch den energieeffizienten Neubau. Hier hat sich die Situation jedoch erschwert, seit Anfang 2022 die Förderung für Effizienzhäuser nach KfW55 eingestellt wurde. Diese war die finanzielle Basis für unsere Neubauprojekte. Wir müssen seitdem schauen, wie wir ohne ausreichende Förderung unseren Beitrag zur Schaffung bezahlbaren Wohnraums leisten können. Wir haben deshalb in unseren Planungen das künftige Neubauvolumen zunächst reduziert, stellen den Neubau jedoch nicht komplett ein: Durchschnittlich 700 Wohnungen pro Jahr wollen wir zusätzlich auf den Markt bringen. Ohne verlässliche politische Rahmenbedingungen – gerade im derzeitigen Zinsumfeld – wird es aber langfristig schwierig, auch dieses Pensum zu halten.

Der Energieträgerwechsel ist ein spannendes Stichwort. Wie ist hier der aktuelle Stand?

Wir haben im vergangenen Jahr fünf Projekte gestartet. 330 Wohnungen sollten an Wärmepumpen angeschlossen werden. Wir sind – das haben Sie in der Zeitung lesen können – auf infrastrukturelle Probleme gestoßen. Denn eine Wärmepumpe setzt eben nicht eine Gasleitung voraus, sondern ein funktionierendes Stromnetz. Und die Kaskadierung (Anm. d. Red.: Hintereinanderschaltung mehrerer Module/Baugruppen) von Wärmepumpenanlagen bedeutet letzten Endes auch eine Belastung der Stromnetze, die wir oftmals gar nicht in ausreichender Stärke vorgefunden haben. Wir brauchen in vielen Fällen einen Trafo, der nicht von uns beschafft, sondern über die Energie- und Netzversorger bereitgestellt wird. Das bedarf erheblicher Vorarbeiten und erfordert auch erheblichen Personal- und Materialeinsatz. Eine weitere Frage war: Wie können wir Strom über die Dächer produzieren und direkt im Haus verwenden? Das heißt, nicht nur der Rückbau der Gasanlage, sondern auch die Versorgung der Wärmepumpen mit eigenem Strom vom Dach ist ein wesentlicher Faktor beim Energieträgerwechsel.

Aus diesem Grund hatten Sie vor, eine eigene Energiegesellschaft zu gründen.

Genau. Der Hintergrund ist, dass wir so viel Strom wie möglich selbst produzieren wollen, und zwar direkt vor Ort, um damit die Wärmepumpen zu betreiben. Überschüssiger Strom soll an die Mieter weitergegeben bzw. ins Stromnetz eingespeist werden. Das ist theoretisch machbar – praktisch aber eben nicht, denn nachts scheint die Sonne nicht und trotzdem müssen wir Strom bereitstellen. Batteriespeicher sind zu teuer und stellen außerdem ein Platzproblem dar. Also muss Strom zugekauft werden. Das war der Plan. So wären wir 2022 an den Start gegangen, wären nicht zwei Dinge passiert. Erstens: Die politischen Rahmenbedingungen für Mieterstrommodelle auf dem Dach sehen vor, den produzierten Strom ausschließlich im eigenen Haus zu verwenden. Dabei wäre es doch viel praktischer, die überschüssige Energie auch im Quartier verteilen zu dürfen. Zweitens: Als Quasi-Energieversorgungsunternehmen wären wir verpflichtet, nicht nur tagsüber, sondern immer Strom zu liefern. Das ist im Moment durch die volatile Strompreissituation ein erhebliches Risiko. Das ideale Modell wäre der so genannte Bilanzkreis. Ein Unternehmen wie wir produziert, an welcher Stelle auch immer, Strom und gibt ihn dort ab, wo er gebraucht wird. Also zum Beispiel an den Mieter, der gerade den Herd anschaltet. Das wäre das Idealmodell. Doch das geben die rechtlichen Rahmenbedingungen in Deutschland nicht her und ich fürchte, es ist politisch auch nicht gewollt – wir würden dann in Konkurrenz zum lokalen Stromanbieter stehen. Hinzu kommt, dass die Netzinfrastruktur, die wir im Moment haben, für diese Spitzenlasten noch nicht ausreichend vorbereitet ist. All das muss noch geregelt werden. Schlussendlich bleibt es aber unser Ziel, Mieterstromprogramme auf den Weg zu bringen.

Sie sprachen die politischen Rahmenbedingungen an. Wie nehmen Sie derzeit die politische Stimmungslage im Hinblick auf die Immobilienwirtschaft wahr?

Wir haben aktuell so viele Krisen, die wir so nicht haben vorhersehen können. Mit dem Krieg in der Ukraine, der sicherlich die größte dieser Krisen ist, kam der Gasmangel und damit die Verteuerung von Energie, und der Preise allgemein. Materialmangel und die Folgen der Corona-Pandemie, all das kommt zusammen. Der Fokus liegt im Moment darauf, die Industriestrompreise stabil und die Industrie am Laufen zu halten und nicht deren Abwanderung zu befördern. Das kann ich nachvollziehen. Gleichwohl fehlt es an bezahlbarem Wohnraum. Die Nachfrage für Mietwohnungen ist enorm gestiegen, einerseits durch die Zuwanderung, andererseits aber auch durch die Lebensverhältnisse in den letzten Jahrzehnten: Es gibt immer mehr Singlehaushalte und immer größeren Wohnraumbedarf pro Kopf. Aktuell können wir diese Ansprüche nicht ausreichend bedienen. Und das führt zu einer Mietpreisspirale. Wer heute kein Eigentum kaufen kann, weil die Zinsen so hoch sind, wird, länger als wir es bisher erlebt haben, teurere Mietwohnungen belegen. Damit wird das knappe Gut Wohnung quasi „blockiert“ und es kommt zu höheren Preisen, da das Angebot für nachrückende Mieter immer knapper wird. Mit anderen Worten: Die Politik muss den Fokus noch stärker auf das Thema „Wohnen“ legen, damit die Gesellschaft nicht noch weiter auseinanderdriftet.

Hier kommt auch das kürzlich verabschiedete Gebäudeenergiegesetz (GEG) ins Spiel.

Ja. Das ergibt auf den ersten Blick aus ökologischen Gründen auch Sinn, den Eigentümern zu sagen, langfristig kannst du kein Gas und Öl mehr verbrennen, du musst deine Energieversorgung für Warmwasser und Heizung auf 65 Prozent klimaneutrale Energie umstellen. Aber: Das GEG wendet sich vor allem an die selbst nutzenden Wohnungs- und Hauseigentümer. Eigentümergemeinschaften, große Wohnungsgesellschaften wie wir oder Vermieter, die zehn oder 20 Wohnungen besitzen, haben davon weniger. Im Gegenteil, denn wir haben durch das Gesetz rund 50 Prozent weniger Fördergelder zur potenziellen Verfügung. Auf dem Papier liest sich das so einfach: Wir bauen eine Gasheizung aus und stellen eine Wärmepumpe in den Garten. Das bedeutet im bewohnten Bestand aber enorme Herausforderungen. Und am Ende, auch das darf man nicht verschweigen, ist die Wärmepumpe aufgrund der Anschaffungskosten und des Strompreises derzeit nicht unbedingt günstiger als fossile Energieträger. Natürlich ist es klimaneutral, aber es muss auch sozial verträglich bleiben. Um die Energiewende im Gebäudebereich also zu schaffen, braucht es eine verlässliche Förderkulisse – doch das Gegenteil ist der Fall. Richtig war es daher – allerdings leider erst im zweiten Schritt – eine kommunale Wärmeplanung vorzuschreiben. Denn es ist sinnlos, heute eine Wärmepumpe vor das Haus zu stellen und das Haus zu sanieren, obwohl noch nicht abzusehen ist, ob es in fünf Jahren möglicherweise eine bessere alternative Energiequelle gibt.

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Ein Projekt, das sowohl ökologische als auch soziale Ziele verfolgt, haben Sie mit dem Modellquartier „Bergmannsgrün“ in Dortmund auf den Weg gebracht, in das VIVAWEST mehr als 100 Mio. Euro investiert. Können Sie skizzieren, was in dem Quartier entstehen soll?

Wir haben in den letzten zehn Jahren eine Menge Erfahrungen gesammelt, was Veränderungen von Siedlungen angeht – aber vergleichsweise noch wenig Erfahrung im Bereich der regenerativen Energien. Bergmannsgrün bietet uns die Chance, beides zusammenzubringen. Wir haben in Dortmund-Huckarde eine in die Jahre gekommene Siedlung, die zwar infrastrukturell gut angeschlossen ist, aber noch komplett mit Gas versorgt wird und als typische 50er Jahre-Siedlung auch nicht barrierefrei oder besonders familienfreundlich gebaut ist. Auch die IGA, also die Internationale Gartenausstellung 2027 im Ruhrgebiet, hat uns dazu bewogen, das Quartier Bergmannsgrün für ein Modellprojekt auszusuchen, um die Frage zu beantworten: Wie wollen wir in Zukunft wohnen? Was wir machen: im ersten Bauabschnitt energetisch modernisieren und dann neuen Wohnraum durch Dachaufstockungen schaffen, also die alten Satteldächer herunternehmen und neue Dachwohnungen in Holzbauweise aufsetzen. 144 Wohnungen werden außerdem abgerissen. Hier planen wir rund 200 neue, barrierefreie und familienfreundliche Wohnungen – zu einem großen Teil öffentlich gefördert. Deshalb haben wir gesagt, brauchen wir auch eine Kita und ein Familienzentrum, wo sich die Menschen, die dort wohnen, begegnen und austauschen können. Die derzeit angespannte Verkehrssituation haben wir vor anzugehen, in dem wir ein Parkhaus am Eingang des Quartiers errichten wollen. Zudem ist ein Quartierszentrum mit Gastronomie geplant, über dem zusätzlich kleinere Wohnungen, sogenannte Microapartments für Studierende und Singles entstehen. Wie bei allen Neubauprojekten spüren wir aber auch in Bergmannsgrün die enorme Herausforderung durch die gestiegenen Baukosten und die unzureichende Förderkulisse.

Das Projekt bringt für die Mieter erhebliche Veränderungen in den nächsten Jahren mit sich.

Für die Mieter bedeutet das erst einmal, jahrelang eine Baustelle vor der Tür zu haben. Zudem fallen durch den Abriss 144 Wohnungen weg, was bedeutet, dass 144 Haushalte umziehen müssen. Dementsprechend haben wir den Prozess mit viel Vorlauf geplant und von Anfang an mit den betroffenen Mietern persönlich gesprochen und ihnen versprochen: „Wir lassen euch nicht allein.“ Dazu gehört es, für die Mieter eine neue Wohnung zu suchen und sie auch beim Umzug zu unterstützen. Aktuell sind nur noch weniger als zehn Mietparteien zu versorgen, für alle andere konnten wir ein neues Zuhause finden, zum Teil im Quartier selbst. Das Projekt läuft seit knapp zwei Jahren und es gibt erste Ergebnisse, die nicht nur unsere Aufsichtsräte gut finden. Die Mieter sind ebenfalls begeistert, weil sie sehen, dass wir nicht nur Fassaden aufhübschen, sondern das Quartier ganzheitlich anpacken.

Und Sie sind ebenfalls optimistisch, dass der Wohnraum bezahlbar bleibt?

Ja, da wir einen Teil der Wohnungen öffentlich fördern, um damit die Mietpreise zu begrenzen. Das funktioniert im Gegensatz zum Bund in NRW gut, das muss ich einfach mal konstatieren. Die NRW.Bank und die Landesregierung haben es durchgehend geschafft, in den letzten 20 Jahren eine gelungene Wohnraumförderpolitik zu betreiben.

Was ist die große Vision für Bergmannsgrün?

Ein dekarbonisiertes Quartier mit regenerativer Energieversorgung, mit einer Infrastruktur, die Autos durch alternative Mobilitätsangebote weitestgehend aus dem Wohnumfeld heraushält. Ein Quartier mit einer diversen Mieterschaft: Studenten, Familien und Senioren. Ein Quartier, in dem Menschen nicht nur ein Zuhause haben, sondern das es ihnen auch ermöglicht, sich an vielen Stellen zu begegnen.

Was können andere Standorte aus diesem Dortmunder Modellprojekt lernen?

Wir lassen das Projekt wissenschaftlich begleiten, um bewerten zu können, welche der Maßnahmen, die wir in Bergmannsgrün gebündelt umsetzen, als Bausteine für andere Quartiersentwicklungen in Frage kommen.

Der Name Bergmannsgrün vereint ja ein Stück weit die industrielle Geschichte des Ruhrgebiets mit einer nachhaltigen Zukunft. Inwieweit spielt der Bergbau heute noch eine Rolle in den Beständen von VIVAWEST?

Er spielt nicht nur eine Rolle, sondern ist Teil unserer DNA. Auch wenn wir mittlerweile natürlich auch für andere Zielgruppen Wohnungen bauen und bewirtschaften – die traditionellen Werte sind geblieben. Zum Beispiel: Verlässlichkeit. Man lässt den Kumpel nicht allein. Diese Mentalität, die man hier im Ruhrgebiet hat, offen und ehrlich miteinander umzugehen, dafür steht auch VIVAWEST.