Interview:Ein enkelfähiger Campus für ein neues unternehmerisches Selbstverständnis

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Haniel Enkelfähig Campus
Peter Weidig, Head of Holding Services, und Janina Groffmann, Business Partner Communications, zeigten uns den Enkelfähig Campus von Haniel. Fotocredit: Stefan Fercho / Initiativkreis Ruhr

Interview

Peter Weidig, Haniel

Peter Weidig

Head of Holding Services

Am Firmensitz des Ruhrorter Familienunternehmens Haniel entsteht aktuell der „Enkelfähig Campus“. Für das Unternehmen ein wichtiger Baustein auf ihrem Weg, Europas führender Purpose-driven Investor zu werden. Was hinter dem Begriff Enkelfähig steckt und welche Rolle der Campus bei dieser Vision spielt, haben wir Peter Weidig, Head of Holding Services bei Haniel, gefragt.

Der Begriff „Enkelfähig“ ist Teil der Unternehmens-DNA von Haniel – warum ist Haniel dies so wichtig?

Wir haben vor vier Jahren eine neue Ära bei Haniel eingeläutet. Wir sind davon überzeugt, dass unternehmerische Performance nur durch nachhaltiges, enkelfähiges Wirtschaften gelingt. Neben der unternehmerischen Notwendigkeit zur Veränderung sehen wir es auch als gesellschaftlichen Auftrag, unseren Kindern und Enkeln eine lebenswerte Zukunft zu ermöglichen. Warum ist das so? Weil wir uns als Gesellschaft an wesentlichen Wendepunkten bewegen – Stichworte Klimakrise und planetare Grenzen. Hier sind Unternehmen gefordert, ihren Beitrag zu leisten. Für uns bei Haniel ist das vor allem eine kulturelle Transformation. Wir wollen zu einem weltoffenen, diversen, leistungsorientierten Unternehmen und damit auch attraktiverem Arbeitgeber werden. Auf diesem Weg haben wir schon deutliche Fortschritte gemacht.

Was zeichnet enkelfähiges Wirtschaften für Haniel aus?

Es gibt diese Debatte, die sagt: „Nachhaltigkeit muss man sich leisten können.“ Wir sehen das anders. Eine langfristige strategische Ausrichtung ist ohne Nachhaltigkeit gar nicht mehr denkbar. Mit unserem enkelfähig-Ansatz wollen wir zeigen, dass nachhaltige Geschäftsmodelle nicht nur profitabel sind, sondern langfristig besser abschneiden.

Der heutige Unternehmenssitz am Franz-Haniel-Platz in Duisburg-Ruhrort soll in Zukunft besser bekannt sein unter dem Namen „Enkelfähig Campus“ – wie kam es zu der Idee?

Der Enkelfähig Campus ist eine flankierende Maßnahme für die Transformation von Haniel hin zu einem enkelfähigen Unternehmen. Wir wollen Enkelfähig erlebbar machen. Wenn ich hier auf den Campus komme, muss ich ein Gefühl dafür bekommen, was wir als Haniel darunter verstehen. Als offener Raum soll der Campus Ausdruck für das neue unternehmerisches Selbstverständnis von Haniel sein.

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„Mit unserem enkelfähig-Ansatz wollen wir zeigen, dass nachhaltige Geschäftsmodelle nicht nur profitabel sind, sondern langfristig besser abschneiden.“

Wie ist der zeitliche Rahmen für dieses ambitionierte Langzeitprojekt?

Wir haben uns zum Ziel gesetzt, die Transformation zum Enkelfähig Campus bis 2025 abzuschließen und den Campus bis dahin zu einem Leuchtturm für Enkelfähigkeit auszubauen. Dafür öffnen wir uns als Unternehmen und vermieten Räume auf dem Campus an andere enkelfähige Unternehmen und Startups, um eine Campus Community aufzubauen, in der alle voneinander profitieren und an einer gemeinsamen Vision arbeiten können. Gemeinsame Events und Kooperationen bilden die Grundlage dafür.

Wie groß sind die Investitionen hierfür?

Der Campus ist wie ein Theater: Es gibt die Bühne und es gibt ein Programm. Ein Großteil der Investitionen fließt in die Bühne, also die Infrastruktur. Dazu gehört zum Beispiel, dass wir bis spätestens 2025 unsere eigene Energieversorgung komplett auf erneuerbare Energien umstellen und möglichst autark unsere Energie erzeugen wollen, über eine Kombination aus Photovoltaik, Solarthermie, Geothermie und Luftwärmepumpen. Da reden wir über mehrere Millionen Euro. Doch insgesamt ist die Neuausrichtung des Campus in Zahlen schwierig zu beziffern, denn nochmal: Es geht vorrangig um eine kulturelle Transformation, wenn wir von Enkelfähigkeit sprechen – da sind wir dann beim Programm: Den Campus zu einem Ort für Netzwerken und gemeinsames Arbeiten an enkelfähigen Ideen ausbauen.

Externe Mieter sollen in die Räume aufgenommen werden, die dann ihre Infrastruktur mitnutzen können. Entstehen dafür noch weitere Gebäude auf dem Franz-Haniel-Platz oder wie wird das Campus-Konzept in die bereits bestehende Infrastruktur integriert?

Der Campus war ursprünglich ein geschlossener, reiner Unternehmenssitz. Hier wollen wir ein Zeichen setzen und uns auch ganz praktisch öffnen: In ein paar Wochen werden wir die Schranken zum Campus tagsüber öffnen und ihn so für jeden zugänglich machen. Im Zuge unserer Transformation setzten wir außerdem auf eine neue Arbeitskultur für unsere Mitarbeitenden mit hybriden Lösungen. Statt Einzelbüros gibt es offene Räume mit Desksharing für mehr Interaktion der Teams untereinander – in Kombination mit mobilem Arbeiten für mehr Flexibilität. Entsprechend brauchen wir auch weniger Platz. Die freiwerdenden Flächen nutzen wir im Sinne der Enkelfähigkeit neu, indem wir den Bestand sanieren und umbauen.

Zu den externen Mietern zählen Studierende, Startups oder auch etablierte Unternehmen, die in Co-Working-Spaces arbeiten können – was ist der Mehrwert des Enkelfähig Campus für diese Zielgruppe?

Mit dem neuen Ökosystem Enkelfähig Campus schaffen wir eine eigene Infrastruktur und entwickeln so den wichtigen Community-Gedanke dahinter – wir orchestrieren eine Zusammenarbeit, von der die jungen Unternehmen dann profitieren, von unseren Netzwerken zum Beispiel. Erfolgreich durch Teilen statt Herrschaftswissen: Ein Paradigmen-Wechsel, den gerade viele Unternehmen vollziehen.

Ganz frisch ist ein norwegisches Unternehmen bei uns eingezogen, die Elektrolyseure zur grünen Erzeugung von Wasserstoff bauen – eine absolute Zukunftstechnologie. Eine wichtige Initiative ist auch die Impact Factory, mittlerweile der bekannteste Inkubator für Impact Startups in Deutschland – fest verankert auf unserem Campus. Daraus haben sich schon einige weitere Kooperationen mit Startups und Unternehmen ergeben, die sich zum Beispiel intensiv mit dem Aspekt der Kreislaufwirtschaft auseinandersetzen. Früher galt: Take, make, waste. Dieses lineare Denken müssen wir in Reduce-Reuse-Recycle umwandeln. Wir sind dabei, eine eigene Startup-Area aufzubauen und suchen ganz bewusst junge Gründer und Unternehmen, die sich mit diesen Themen beschäftigen, innovative Lösungen finden und auf das Thema Enkelfähigkeit einzahlen.

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Gemeinsam auf der Mission "enkelfähig" für Haniel im Einsatz: Peter Weidig und Janina Groffmann.

Haniel ist fest mit dem Stadtteil Ruhrort verbunden und hat sich mit weiteren Partnern vorgenommen, den Stadtteil mit dem Projekt Urban Zero bis 2029 umweltneutral zu gestalten. Dazu arbeiten Sie u.a. mit der GREENZERO Beteiligungsgesellschaft zusammen, die auch beim ehemaligen Initiativkreis Ruhr-Leitprojekt InnovationCity Hauptgesellschafterin ist. Welche weiteren Schritte auf dem Weg zu Urban Zero sind geplant und wie fügt sich der Enkelfähig Campus darin ein?

Der Enkelfähig Campus liegt mitten in Ruhrort und ist ein Dreh- und Angelpunkt der Initiative Urban Zero. Aber man muss beiden Initiativen auch losgelöst voneinander betrachten – den Campus hätten wir auch ohne Urban Zero weiterentwickelt. Unsere Projekte zahlen aber auf die Ziele von Urban Zero ein: Zu nennen ist hier neben der Energieversorgung der Aspekt der Biodiversität. Dafür haben wir bei uns auf dem Areal geschaut: Wo können wir Böden entsiegeln und Flächen ökologisch aufwerten. In einem ersten Schritt soll deshalb auf dem Campus ein begehbarer Naturgarten entstehen. Und natürlich spielen auch Konsumgewohnheiten eine zentrale Rolle. Wir haben das gastronomische Angebot auf dem Campus zu großen Teilen auf Bio und regionale Produkte umgestellt und bieten 50 Prozent vegetarische Speisen an. Die Nachfrage ist übrigens schon deutlich höher! Am Ende ist der Erfolg von Urban Zero aber vor allem abhängig von den Ruhrorter:innen – und davon, dass sie davon überzeugt sind, dass das Projekt ihnen Vorteile bringt und sie sich darin engagieren. Dafür veranstaltet das Projektteam im Mai ein Festival und eröffnet ein Quartiersbüro für Urban Zero in einem eigenen Ladenlokal hier in Ruhrort, in dem sich die Bürger:innen informieren können.

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„Bitte betreten Sie den Rasen“ - Der Campus lädt ein zum Netzwerken und gemeinsamen Arbeiten an enkelfähigen Ideen.

Inwiefern bietet das Projekt nicht nur für Ruhrort, sondern für das gesamte Ruhrgebiet und seine Wirtschaft eine Chance?

Für Ruhrort engagieren wir uns natürlich, weil wir hier sitzen und uns als Unternehmensbürger verstehen. Duisburg-Ruhrort ist ein typischer Stadtteil hier im Ruhrgebiet, mit strukturellen Herausforderungen und all dem, was dazu gehört. Ein Projekt wie Urban Zero ist da schon sehr ambitioniert. Es ist eine Pionier-Aufgabe, die wir uns hier vornehmen. Wir wollen das weltweit erste umweltneutrale urbane Quartier hier kreieren.

Um eine solche Mammutaufgabe zu stemmen, braucht es die Unterstützung einer Vielzahl von privaten Investoren. Deshalb sehen wir regionale Netzwerke wie den Initiativkreis Ruhr als einen Gewinn für uns. Für Kooperationsideen, Fragen und Austausch stehen wir anderen Teilnehmer:innen gerne zur Verfügung.