Interview:Humanzentrierte KI und ihre Chancen für das Ruhrgebiet

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Fotocredit: Evonik Industries AG

Interview

Evonik Hahn

Dr. Henrik Hahn

Chief Digital Officer (CDO)

Wie humanzentrierte KI schon jetzt in der chemischen Industrie zum Einsatz kommt und welche Herausforderungen, aber auch Chancen mit Blick auf das Ruhrgebiet darin liegen, haben wir im Gespräch mit Dr. Henrik Hahn, Chief Digital Officer bei Evonik, erfahren.

In der Chemie-Industrie gibt es spezielle Herausforderungen, für die Künstliche Intelligenz und Big Data Lösungen bieten können. Ein besonders spannendes Evonik-Projekt gibt es im Feld der "humanzentrierten KI". Was bedeutet das genau und was wird in dem Projekt erarbeitet?

KI-Technologien können in der Regel nicht schon von vornherein sämtliche praktischen Auswirkungen ihres Outputs abschätzen. Gleichzeitig bestimmen KI-Verfahren zunehmend die betriebliche Realität – auch in der Chemiebranche. Evonik arbeitet in dem öffentlich geförderten hKI-Chemie-Projekt daher eng mit den Sozialpartnern der chemischen Industrie zusammen, um wiederverwendbare humanzentrierte KI-Bausteine, Entwicklungsmethoden und Handlungsempfehlungen zu erarbeiten. Für Evonik selbst geht es dabei in erster Linie um die KI-basierte Auswertung von Korrelationen und Einflussfaktoren externer Faktoren.


Wie der Name schon erahnen lässt, soll die KI den Menschen hierbei nicht ersetzen, sondern unterstützen. Wie könnte so eine Mensch-Maschine-Kooperation aussehen?

Der Konjunktiv ist spätestens mit der Veröffentlichung von ChatGPT nicht mehr angebracht. Schon heute hilft KI Menschen bei der Erledigung ganz unterschiedlicher Aufgaben – von der Hausaufgabe bis hin zu Geschäftsentscheidungen. Die Grundlage dafür sind kluge mathematische Modelle, vernünftige Trainingsdaten, das heißt in qualitativer wie quantitativer Hinsicht, und last but not least ein einfach zu nutzendes Frontend. Und die Basis dafür sollte durch einen regulatorischen Rahmen geschaffen werden, der innovationsförderlich ist. Da sehe ich mit Blick auf Brüssel noch Luft nach oben.

Wo könnte humanzentrierte KI denn konkret bei Ihnen im Unternehmen eingesetzt werden?

In nahezu allen Bereichen bei Evonik fallen ja jede Menge strukturierte und unstrukturierte Daten an. Und hier können wir mit KI-Werkzeugen ansetzen. Das fängt bei der Aufbereitung und Vernetzung von Wissen an - beispielsweise in der Forschung. Es geht über die virtuelle anwendungstechnische Unterstützung von Kunden bis zur automatischen Kundensegmentierung im Marketing und schließt noch viele weitere Anwendungen, zum Beispiel in Produktion und Technik, ein. Das Versprechen der KI ist, dass Menschen bessere Entscheidungen treffen können. Und diese Entscheidungen treffen die Menschen auch weiterhin selbst.


Digitalisierung bedeutet für alle Branchen eine technische Umwälzung der bestehenden Prozesse. Wo sehen Sie für die Chemie-Industrie im Ruhrgebiet die größten Chancen, aber auch Herausforderungen?

Dazu fallen mir erst einmal die Stichworte Datenverfügbarkeit und -durchdringung ein. In unserem Branchenverband VCI, der Verband der Chemischen Industrie, haben wir dann noch den Begriff Chemie 4.0 geprägt. Damit kommt eine weitere wichtige Komponente hinzu: die zirkuläre Wirtschaft. Tatsächlich ist die Digitalisierung auch ein entscheidender Hebel, um Nachhaltigkeit zu ermöglichen. In der Praxis, im Alltag sind es eher viele kleine Herausforderungen, die es in den Griff zu bekommen gilt. Das erfordert Veränderungsprozesse. Und wenn die Menschen im Ruhrgebiet eins beherrschen, dann sind das Veränderungsprozesse. Das ist eine besondere Stärke und bei diesem Thema auch eine besondere Chance. Mit einer modernen, leistungsfähigen und innovationsstarken chemischen Industrie in der Region Ruhr lassen sich daraus Erfolge machen.

Ab wann soll hKI bei Evonik zum praktischen Einsatz kommen?

Wir sind schon mittendrin. Wir verstehen KI als nützliches Werkzeug für Innovationen sowie für höhere Effizienz und nachhaltige Lösungen in vielen Bereichen. KI hilft schon heute dabei, Daten in neue Erkenntnisse umzuwandeln, Vorhersagen zu treffen und so die Entscheidungsfindung des Menschen massiv zu unterstützen.

Zu guter Letzt: Wie sieht das Arbeiten bei Evonik in 10 Jahren aus - was wird sich (zwangsläufig) verändern, woran müssen Sie aktiv arbeiten?

Produkte, Dienstleistungen oder auch die Prozesse, mit denen sie vermarktet werden, sind fast alle schon heute komplexer geworden, als sie es noch vor wenigen Jahren waren. Diese Entwicklung setzt sich weiter fort. Deshalb ist effektive und effiziente Zusammenarbeit das A und O im digitalen Zeitalter. Digitalisierung ist ein Auslöser eines großen Change-Prozesses – aber Digitalisierung liefert auch Lösungen für diesen Change-Prozess.
Ich bin in dieser Hinsicht sehr zuversichtlich, dass wir in der Rückschau einmal sagen können: Wir haben die Chancen als Unternehmen und als Region frühzeitig erkannt und die Weichen für Erfolge richtig gestellt.