Herr Prof. Werner, zunächst möchte ich Ihnen gratulieren: Sie sind in einem Ranking vom US-Magazin Newsweek auf Platz 87 von 2300 gelandet. Bewertet wurde die „Beständigkeit“ der Krankenhäuser weltweit. Beständige Krankenhäuser ziehen die besten Mitarbeitenden an und bieten die beste Patientenversorgung. Und damit nicht genug: Im Bereich Digitalisierung liegt das Uniklinikum Essen weltweit auf Platz 20 und in Europa auf Platz 6, in Deutschland gar auf Platz 2. Das ist ein sehr beeindruckendes Ergebnis. Was freut Sie daran am meisten?
Mich freut besonders, dass die Arbeit von vielen Menschen auf diesem Wege Anerkennung findet. Newsweek ist ein großes Magazin, da hat es mich natürlich gefreut, im Kontext der Digitalisierung unter „Smart Hospital“ auf Platz 20 zu stehen. Bei diesem Ranking ist das Besondere, dass wir uns nicht darum beworben hatten, sondern über das Ranking irgendwann informiert wurden. Zudem ist das Ranking international und eben nicht nur der Blick innerhalb Deutschlands. Vor diesem Hintergrund ist das schon eine besondere Meldung gewesen.
Wir haben mit der Universitätsmedizin Essen absolute Spitzenmedizin mitten im Herzen des Ruhrgebiets. Jetzt mal platt gefragt: Ist sich das Ruhrgebiet dessen bewusst? Der Ruhri stellt sein Licht ja viel zu oft unter den Scheffel…
Als Zugezogener habe ich da sicher immer noch eine gewisse Außenansicht und kann das schon zum Teil bestätigen. Dabei kommen aus dem Ruhrgebiet unfassbar viele Bewegungen, die Industrialisierung nahm von hier aus ihren Weg und jetzt haben wir die Chance, den nächsten Schritt zu gehen – mit der Digitalisierung, mit Daten. Das Potential hier ist enorm. Wir müssen verstehen – das gilt im Übrigen für ganz NRW – dass wir noch stärker als Einheit wahrgenommen werden und es unter den Städten kein Konkurrenzdenken geben sollte. In Bayern ist es egal, ob Erlangen gemeint ist oder Augsburg, da sind alle stolz, weil es Bayern ist. Davon kann sich das Ruhrgebiet und ganz Nordrhein-Westfalen selbstbewusst eine Scheibe abschneiden.
Wie kann man dieses Kirchturmdenken Ihrer Meinung nach aufbrechen?
Ich glaube, wir müssen unsere Leistungen mehr nach außen bringen, zeigen, was hier passiert: Die ganzen Startups, großen Unternehmen und Weltkonzerne, die hier sitzen, auch mit dem Standort zu verknüpfen, das wäre eine mögliche Lösung. Wenn Sie an Bayer denken, denken Sie auch an Leverkusen. Bei Evonik aber nicht automatisch auch an Essen. Das müssen wir besser hinbekommen.
Die Reform der Krankenhauslandschaft im gesamten Bundesgebiet wird politisch aktuell stark diskutiert. Sie sagen selbst, dass das deutsche Gesundheitswesen „teuer, marode und ineffizient“ sei. Welche Rolle nimmt die Universitätsmedizin Essen auf diesem Weg ein und wie forcieren sie diesen Prozess?
Zunächst muss man verstehen, dass eine Universitätsmedizin kein normales Krankenhaus ist. Sie hat verschiedene Aufgaben. Zum einen die Krankenversorgung an sich, dann die Krankenversorgung in einem spezialisierten Sektor, zum Beispiel die Transplantationsmedizin oder Onkologie. Zum anderen macht eine Uniklinik Forschung und bildet Medizinstudenten aus. Damit sind Unikliniken die Innovationstreiber im Gesundheitswesen, in einem Maße, wie man es von keinem anderen Krankenhaus, keiner anderen Praxis und auch keinem medizinischen Versorgungszentrum erwarten könnte. Das alles muss an den Unikliniken laufen. Wenn wir zum Beispiel über die Krankenhausreform sprechen, sollen Universitätskliniken einen besonderen Status bekommen. Das haben wir auch aus der Corona-Pandemie gelernt, in der wir in Deutschland als einer der größten Versorger für Covid-Patienten in die Pflicht gegangen sind - was bei der Bevölkerungsdichte im Ruhrgebiet ja völlig klar ist. Wir haben diese Verantwortung übernommen und alle unsere Kompetenzen gebündelt, sei es die Notfallmedizin, die Beatmungsmedizin oder die Infektionsmedizin. Letztere ist neben der Transplantationsmedizin und Onkologie unser dritter Schwerpunkt. Diese drei Schwerpunkte gehören zum Beispiel bei Covid 19 oder bei Krebserkrankungen zusammen. Krebspatienten haben ein geschwächtes Immunsystem, Covid- und Transplantationspatienten auch, wodurch wiederum das Infektionsrisiko steigt. Da hier Diagnostik und Daten übergreifend zusammenhängen, haben wir ein Institut für Künstliche Intelligenz in der Medizin aufgebaut – mittlerweile sind hier 150 Menschen tätig.
An welcher Stelle würden Sie sagen, ist eine KI bereits besser als der Mensch?
Besser wahrscheinlich bei allem, was Sichtung und Interpretation großer Datenmengen betrifft. Bei uns wird beispielsweise in der Radiologie schon seit mehreren Jahren mit dem Einsatz von KI gearbeitet, die die Kollegen bei Voruntersuchungen und der Sichtung von Röntgenbildern unterstützt. Das entlastet die Radiologen, die ansonsten zig Aufnahmen am Tag sichten und auf Auffälligkeiten überprüfen müssen. Deswegen glaube ich, die Technik löst den Menschen nicht ab, sondern unterstützt ihn und gibt den Ärztinnen und Ärzten etwas mehr Zeit, persönlich mit den Patientinnen und Patienten zu sprechen. Die Routinearbeiten können in Zukunft mehr und mehr von der KI erledigt werden. Und die Menschen können die dadurch frei gewordene Zeit sinnvoll nutzen.
Sie sind mit der Universitätsmedizin Essen auf dem Weg zum Smart Hospital und zum Green Hospital. Was heißt das genau? Und geht das eine überhaupt ohne das andere?
Smart Hospital bedeutet ja so viel wie „pfiffiges bzw. effizientes Krankenhaus“, in welchem die Abläufe schnell sind und ein Prozess an den anderen anschließt. Warum machen wir das? Weil wir den Fokus darauflegen möchten, dass wir den Menschen wieder mehr in den Mittelpunkt stellen. Wir wollen aus Sicht der Patienten unsere Prozesse betrachten und an den nötigen Stellschrauben drehen. Diese Umsetzung bekommt man nicht mehr mit analoger Technik hin. Das muss digital passieren. Wir setzen also die Digitalisierung ein, damit die Ansprüche und Erwartungen der Menschen ans Krankenhaus und an das Gesundheitswesen besser umgesetzt werden. Daneben gibt es den Anspruch, Diagnostik und Therapie zu verbessern. Denn zu einem gesunden Menschen gehört auch eine gesunde Umwelt: Energiethemen, Hitzewellen im Sommer durch den Klimawandel, Ressourceneinsparung und Recycling, das gehört einfach alles zusammen. Deswegen haben wir uns 2020 entschieden, uns nicht nur zum „Smart Hospital“, sondern auch zum „Green Hospital“ weiterzuentwickeln.
Sie haben ein Buch zum Thema Green Hospital herausgegeben, das 2022 erschienen ist. Darin sagen Sie im Vorwort selbstkritisch, dass die Universitätsmedizin Essen zwar Vorreiter im Bereich Digitalisierung sei, aber hinsichtlich nachhaltiger Umgestaltung noch am Anfang stehe. Was hat sich seitdem getan? An welchen Stellen ist die Universitätsmedizin bereits grün unterwegs?
Es tut sich laufend etwas bei uns. Zuerst mussten wir ein Team aufbauen, das wir nun haben und welches sehr effizient und erfolgreich arbeitet. Aktuell haben wir einen Fahrradparkplatz errichtet mit 230 Plätzen. Das war ein Wunsch der Belegschaft. Das Thema Mobilität allgemein steht bei unseren Mitarbeitenden ganz oben auf Platz 1 der Liste. Erst kürzlich ist das Institut für Naturheilkunde und planetare Ernährung eingeführt worden. Dies tatsächlich vor dem Hintergrund, dass Krankenhauskost nicht gerade einen guten Ruf hat. Wir haben dort eine Lehrküche eingerichtet: Ob es Mitarbeitende sind oder Patienten, jeder kann die Küche nutzen und bekommt vorher mitgeteilt, was er oder sie einkaufen soll. Wir achten auf die Preise und eine gesunde, pflanzenbasierte Zutatenliste – wobei wir die Begriffe vegetarisch oder vegan bewusst vermeiden. Bis zu 60 Personen können in der neuen Lehrküche parallel kochen. Besonders freut mich, dass wir den bekannten Naturheilkundler Professor Dobos jetzt bei uns an der Universitätsmedizin haben. Sein Wissen in der Ernährungsmedizin ist ein echter Zugewinn.
In Ihrem Buch beschreiben Sie, dass eine Universitätsklinik nicht selten den Energieverbrauch mehrerer tausend Einfamilienhäuser hat. Nichtsdestotrotz haben Sie es sich zum Ziel gesetzt, nicht nur grüner zu werden, sondern bis 2045 Klimaneutralität zu erreichen. Wie werden Sie das schaffen?
Erst einmal muss ich sagen, dass 2045 ja im Grunde viel zu lange ist, um dieses wichtige Ziel zu erreichen. Gleichzeitig ist es eine komplexe Aufgabe, die da vor uns liegt. Ich halte nichts davon, den Fortschritt an einer Jahreszahl festzumachen. Und es geht nicht nur um das Uniklinikum, sondern auch um unsere 15 Tochterunternehmen. Wir drehen schon an vielen Stellschrauben, weil wir unser Ziel möglichst früher erreichen wollen.
Mal angenommen, wir schreiben das Jahr 2045 und die Universitätsmedizin Essen ist vollständiges Smart und Green Hospital. Was für einen Ort finden wir vor und wie sieht der Alltag dort aus?
Wenn wir 2045 annehmen, dann würden Sie in dem Krankenhaus nicht mehr viel wiedererkennen. Die Medizin wird sich den nächsten 20 Jahren enorm wandeln. Viele heute noch unheilbare oder chronische Krankheiten werden heilbar sein. Mithilfe der Künstlichen Intelligenz werden Diagnosen viel genauer gestellt werden können. Und wenn man eine genaue Diagnose hat, kann die Therapie auch besser definiert werden. Allgemein werden weniger Fehler passieren und die Patientensicherheit wird steigen. 2045 werden wir aber auch mit deutlich mehr alten Menschen zu tun haben, die heute in den Krankenhäusern vielfach gar nicht richtig sichtbar sind. Die Frage, ob man eine Geriatrie braucht oder nicht, wird sich dann nicht mehr stellen. Außerdem werden wir mit noch stärkeren Umweltbelastungen zu tun haben. Zum Beispiel mit längeren und extremeren Hitzewellen im Sommer. Ein weiteres Thema sind der Personal- und Fachkräftemangel. Da wird die Robotik ergänzen, was der Mensch nicht mehr stemmen kann. Roboter werden zukünftig Alltag im Krankenhaus sein. Care-Roboter, Service-Roboter, und Roboter in der Altenpflege – im Einsatz zur Beschäftigung, Gedächtnistraining und allgemein gegen Einsamkeit.
Sie sind seit 2015 als Ärztlicher Direktor und Vorstandsvorsitzender der Universitätsmedizin in Essen tätig. Ursprünglich kommen Sie aus Norddeutschland und haben in Kiel studiert. Was ist aus Ihrer Sicht das Besondere am Ruhrgebiet? Und was sind die größten Herausforderungen in der Gesundheitswirtschaft speziell in unserer Region?
Unser Bestreben als Ärzte und Ärztinnen ist immer eine bestmögliche Gesundheitsversorgung. Da brauchen wir im Ruhrgebiet ein noch niedrigschwelligeres Angebot gerade für Menschen, die kein oder wenig Deutsch sprechen. Da geht es primär nicht nur um die Erkrankung, sondern auch darum, wie Dokumente ausgefüllt werden müssen. Die Gesundheitsbildung, auch in der Schule, wäre ein vernünftiger Weg. Das Schulfach Gesundheit, fest im Curriculum verankert ab der Grundschule – dazu gehört dann auch das Thema Umwelt. Man kann das eine nicht vom anderen trennen. Genauso ist eine vernünftige digitale Infrastruktur unerlässlich – das haben wir hier und im ganzen Land 20 bis 30 Jahre lang verpasst.
Vielen Dank für das Interview!