Interview:Warum wir mehr Unternehmergeist brauchen und weniger Bürokratie

Alle
Jane Alexandra Ploeger

Interview

Jane Alexandra Ploeger

Jane Alexandra Ploeger

Sprecherin der Standortleitung Duisburg & Leiterin des Produktmanagements bei Siemens Energy

Jane Alexandra Ploeger ist Sprecherin der Standortleitung Duisburg & Leiterin des Produktmanagements bei Siemens Energy. Die US-Amerikanerin lebt und arbeitet seit 28 Jahren im Ruhrgebiet und hat uns im Interview erzählt, welche Hürden es auf dem Weg zur Energiewende gibt und was es braucht, damit Deutschland und die Ruhr-Region international wettbewerbsfähig bleibt.

Frau Ploeger, mit mehr als 2.200 Beschäftigten und einer über 150-jährigen Geschichte in Duisburg ist Siemens Energy fest mit dem Ruhrgebiet verbunden. Welche Bedeutung hat der Standort Duisburg-Hochfeld für Ihr Unternehmen?


Ich muss sagen, obwohl ich schon seit 2004 hier in Duisburg bin, ist mir erst durch den Initiativkreis Ruhr bewusst geworden, wie wichtig ein Projekt wie Urbane Zukunft Ruhr ist und was Nils Ebsen und Ibrahim Yetim versuchen, in Hochfeld umzusetzen. Die beiden haben mir kürzlich das „Blaue Haus“ gezeigt und mir ist diese unsichtbare Grenze dadurch deutlich geworden, zwischen unserem Industrie-Standort hier und dem Stadtteil Hochfeld da drüben. Wir sind Teil eines globalen Konzerns bei Siemens mit 96.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern – und direkt nebenan leben Familien, die sich niemals vorstellen könnten, sich bei uns zu bewerben. Ich komme aus dem globalen Teil des Unternehmens und musste erst einmal lernen, dass ich als Standortleiterin auch eine lokale Verantwortung trage. Das ist ein sehr spannender Teil meines Jobs.

Sie kommen aus den USA und leben seit 1996 im Ruhrgebiet. Wie haben Sie den Strukturwandel miterlebt in den vergangenen Jahrzehnten?


Ich bin damals als Austauschschülerin nach Deutschland gekommen und habe noch ein Ruhrgebiet erlebt, das von Kohle und überhaupt von fossilen Energien lebte. Und seit den 2000ern, als der Kohleausstieg kam, hat man es – glaube ich – nicht so wahrgenommen, dass es einen Strukturwandel geben muss. Auch als Unternehmen haben wir das ein Stück weit versäumt. Nehmen Sie den LKW-Verkehr: Viele der Brücken, die hier über den Rhein gehen, sind kaputt und gar nicht auf die Mehrlast ausgelegt.


Ich finde, das Ruhrgebiet als Metropolregion ist gut vergleichbar mit der Region, in der ich aufgewachsen bin, nämlich San Diego. Die Region zwischen Los Angeles und San Diego ist mittlerweile eine Megacity, da gibt es keine Lücke mehr, ähnlich wie hier. Aber was hier anders ist: Die Infrastruktur hat sich in den letzten 20 Jahren nicht mitentwickelt. Seien es die Straßen, die Brücken, oder auch der öffentliche Nahverkehr. Auch bei den Menschen erlebe ich das zum Teil. Viele, die jetzt in Rente gehen und ihr Leben lang in der fossilen Energiebranche gearbeitet haben, die erwarten, dass der daraus erstandene Wohlstand nahtlos mit den erneuerbaren Energien weitergeht. Wir sind aber noch nicht so weit, weil dieser Bereich in den letzten Jahrzehnten wie in einem Vakuum brachlag. Meiner Meinung nach gibt es auch noch zu wenig Zusammenschluss zwischen den Kommunen, der öffentlichen Hand und den Unternehmen. Die Vernetzung entsteht jetzt erst durch Projekte wie Urbane Zukunft Ruhr. Das müsste eigentlich längst passiert sein.





Ist das auch ein Appell an die Politik?


Das hat NRW-Ministerin Ina Scharrenbach so schön auf der letzten Vollversammlung des Initiativkreises Ruhr gesagt: Was ist machbar und was ist wünschenswert. Das Wünschenswerte ist toll, aber was lässt sich wirklich umsetzen? Ich glaube, hier ist die Wirtschaft besser geeignet als die Politik, etwas auf die Beine zu stellen, durchzurechnen und dann auch umzusetzen.



Hinter Siemens Energy liegt ein schwieriges Jahr 2023. Zum Abschluss des Jahres gab es die Nachricht, dass der Bund in Milliardenhöhe bürgt. Wo sehen Sie Siemens Energy mit Blick auf das restliche Jahr 2024?


Das mit der Bürgschaft war in den Schlagzeilen, nur leider wurde in den Medien auch zu verkürzt darüber berichtet. Die Regierung musste nicht Teile von Siemens Energy übernehmen oder eine Bürgschaft für das Unternehmen. Es ging um Bank-Bürgschaften. Überall auf der Welt übernehmen Regierungen für Unternehmen solche Bürgschaften, zum Beispiel in China oder den USA. In Deutschland ist das noch nicht üblich, das stimmt. Aber es kostet uns als Unternehmen ja auch, umsonst gab es diese Bürgschaft nicht. Und doch könnten wir ohne diese staatlichen Garantien keine größeren Dekarbonisierungsprojekte umsetzen. Das passt nicht in das Risikobewertungsschema der Banken. Und deswegen brauchen wir eine Regierung, die solche Vorhaben unterstützt.

Welche Rolle und welche Verantwortung nimmt Siemens Energy bei der Energiewende für die Region und in Deutschland ein?


Duisburg ist der wichtigste Siemens-Standort für compression, also Verdichtung. Verdichter sind essenzielle Bestandteile in Dekarbonisierungsprozessen. Man kann zum Beispiel kein Gas in einer Pipeline transportieren, ohne es zu vorher zu verdichten. Die Region hier hat eigentlich ein Alleinstellungsmerkmal, nämlich ein Pipeline-Netz, das noch viel zu wenig genutzt wird – die Überlegungen, es auch für Wasserstoff zu nutzen, stehen noch am Anfang.

Siemens Energy ist es in einem Pilotprojekt in Frankreich zuletzt gelungen, eine Gasturbine mit 100 Prozent erneuerbaren Wasserstoff zu betreiben – eine Weltneuheit. Wie gut funktioniert bei so einem Projekt die europäische Zusammenarbeit?


Wir haben in diesem Projekt eine Gasturbine in einem Dreijahresprojekt umgerüstet, so dass sie schließlich zu 100 Prozent Wasserstoff verbrennen konnte. Man muss dafür wissen: Wasserstoff ist eines der schlechtesten Gase für den Energietransport. Es brennt sehr heiß, es brennt sehr schnell. Die Entwicklung für den sicheren Transport war sehr aufwändig. Wir hatten dafür eine große Gasturbinen-Testzelle in Berlin gebaut, wo wir Wasserstoff in einem Elektrolyseur produziert haben und drei Wochen lang speichern mussten, um die Gasturbine überhaupt anfahren zu können. Es hat am Ende alles super funktioniert, aber wirtschaftlich oder nachhaltig war das nicht. Das ging nur mit Hilfe der beiden Regierungen von Frankreich und Deutschland. Um nachhaltige Projekte zu realisieren, braucht es sehr viel mehr Investments. Aber natürlich muss man irgendwo anfangen und als globales Unternehmen möchte man sich auch gerne an solchen Pilotprojekten beteiligen. In den USA haben wir ein großes Projekt namens „Direct Aircapture“, wo wir CO2 direkt aus der Atmosphäre speichern. Dahin haben wir vor zwei Jahren unsere Verdichter geliefert.

Welche Rolle kann das Ruhrgebiet und speziell auch Duisburg, wo auch Siemens Energy sitzt, als Wasserstoffregion in Europa spielen? Hat die Region eine Chance?


Natürlich hat sie das. Ich sehe derzeit mit als größte Herausforderung, genügend Fachkräfte an den Standort nach Duisburg zu bekommen. Wir haben hier Ausbildungsstellen, die freigeblieben sind – uns fehlen Industriemechaniker, Schlosser und Dreher genauso wie Datenspezialisten. Da komme ich wieder zurück zu dem Standort Hochfeld als Lebensquartier. Wir haben so viel ungenutztes Potential, so viele Talente direkt vor der Tür – wenn wir diesen Menschen, diesen Jugendlichen, eine Perspektive geben, können wir sie im Umkehrschluss vielleicht auch für unser Unternehmen begeistern. Deswegen finde ich so wichtig, was Urbane Zukunft Ruhr macht. Ich weiß, es hört sich hart an, aber das Label „Made in Germany“ hat nicht mehr die Strahlkraft wie noch vor wenigen Jahren. Und das Label „Made in China“ hat dafür enorm aufgeholt. Dabei ist die Ausbildung hier in Deutschland nach wie vor qualitativ sehr gut. Es gehen aber zum Beispiel viele chinesische Studenten nach dem Studium zurück nach China und bleiben nicht hier. Da müssen wir bessere Anreize schaffen, Fachkräfte auch hier zu halten.

Der Fachkräftemangel ist für die meisten Unternehmen, auch für die Big Player, derzeit ein immens wichtiges Thema. Wie verändern sich die Berufsbilder bei Siemens Energy und was ist zur Gewinnung der richtigen Talente wichtig?


Was sich bei uns stark verändert hat, ist der Automatisierungsprozess in der Fertigung und auch die Auslagerung von bestimmten Prozessen an Zulieferer. Wir machen längst nicht mehr alles inhouse. Das heißt, wir werden immer weniger Menschen beschäftigen – vorher haben sechs Personen bis zu zehn Maschinen betreut, jetzt macht das nur noch ein Mitarbeiter. Und wir produzieren deutlich mehr Daten und brauchen dafür dann auch wieder Mitarbeiter, die diese Daten auswerten können. Wir haben bisher zum Beispiel unsere Qualitätssicherung an den Verdichtern mit der Hand gemessen oder mit einem Handlesegerät. Das werden wir zukünftig aber in ein 3-D-Modell einspeisen. Ich brauche also immer noch jemanden, der die Qualität versteht und Qualitätssicherung kann. Aber der Inhalt des Jobs wird komplett anders sein.


Und was machen wir mit all den Daten, die heute immer noch „auf Papier“ stehen, also in einem PDF-Dokument in irgendeinem Tool, was aber nicht vernetzt ist. Die meisten denken immer noch, dass Digitalisierung bedeutet, dem Kunden Dokumente auf einem Stick gespeichert mitzugeben, begreifen das Thema also vor allem als digitale Dokumentation. Die wenigsten sehen Digitalisierung als lebendiges Teil der Hardware – aber da müssen wir hin. Wenn wir das übergeordnete Problem der Digitalisierung lösen, dann wird Deutschland wettbewerbsfähig bleiben.

Großes Potential im Hinblick auf neue Talente bietet sicherlich auch die große Hochschullandschaft in der Region. Inwieweit gehen Sie als Unternehmen auf die Hochschulen zu? Gibt es da Kooperationsprojekte?


Wir sind sehr gut vernetzt mit den klassischen Disziplinen Maschinenbau, Aerodynamik, Thermodynamik und Autodynamik. Die Studenten durchlaufen bei uns Trainingscenter und die Unis halten auch Teile Ihrer Vorlesungen hier ab. Alles im Bereich Forschung und Entwicklung läuft sehr gut und ist etabliert. Was wir hier vor Ort nicht machen, ist der digitale Teil. Diese Kooperationen in der Informatik und Softwareentwicklung laufen über Indien, weil es dort die entsprechende Infrastruktur schon gibt. Wir haben in Pune kürzlich ein Team für KI aufgestellt – vielleicht hätten wir das besser in Dortmund oder Duisburg machen sollen, da sehe ich uns auch in der Verantwortung!

Frau Ploeger, ich danke Ihnen sehr für Ihre offenen Worte und auch für Ihre Kritik. Warum halten Sie persönlich denn trotzdem an Deutschland und vor allem Duisburg fest, trotz all der Herausforderungen?


Weil das Potential da ist. Trotz all der unnötigen Bürokratie, der nur langsamen Digitalisierung und der mäßigen Infrastruktur. Deswegen ist mir persönlich der Initiativkreis Ruhr so wichtig. Hier wird versucht, Politik, Hochschulen und Unternehmen zusammenzubringen und Quartiersentwicklung voranzutreiben. Genau das braucht das Ruhrgebiet!