HOCHTIEF hat im vergangenen Jahr seinen 150. Geburtstag gefeiert und kürzlich wieder gute Zahlen vorgelegt. Gleichzeitig liest man überall von der Krise am Bau. Was machen Sie richtig?
Ich sehe zwei Erfolgsfaktoren: Wir verfügen über hervorragende, motivierte Fachkräfte und passen uns ständig an den Markt an.
Wenn das so einfach wäre, würden es alle machen.
Ich habe nicht gesagt, dass es einfach ist. Die Anpassung an sich verändernde Marktbedingungen erfordert Mut und Erfahrung. Anders geht es in unserer Branche aber nicht. Wir haben früher viele Kohlekraftwerke oder Einkaufszentren gebaut. Beide Marktsegmente werden heute nicht mehr benötigt. Unsere Aufgabe als Management besteht darin, neue Herausforderungen frühzeitig zu identifizieren und das Unternehmen konsequent darauf auszurichten.
Können Sie aktuelle Beispiele geben?
Denken Sie einfach die beiden Beispiele, die ich eben genannt habe, weiter: Durch das Aus für fossile Brennstoffe und die Energiewende ergeben sich enorme Herausforderungen: Wir bauen in Australien Solarparks und riesige Energiespeicher, wir graben Powertunnel, um neue Stromtrassen unterirdisch zu verlegen. Eine neu gegründete Tochter baut einen großen Teil des Schnelladenetzes in Deutschland. Der Ausbau des Schienennetzes ist eine Jahrhundertaufgabe. Wenn Sie an den Hochbau denken: Aus der Krise des stationären Handels und der Innenstädte ergeben sich für Immobilienbesitzer riesige Konversionsthemen. Ein großes Thema für HOCHTIEF sind darüber hinaus Hightech-Projekte wie Rechenzentren. Durch Cloudcomputing, KI und den Onlinehandel steigt der Bedarf weiter an. Hier zählen wir weltweit zu den führenden Anbietern. Der Slogan von HOCHTIEF lautet: „Wir bauen die Welt von morgen.“ Da sich die Welt ständig wandelt, geht uns die Arbeit nicht aus.
Wie erklären Sie dann die Krise in der deutschen Bauwirtschaft?
Es handelt sich vor allem um eine dramatische Krise im deutschen Wohnungsbau – trotz des großen Bedarfs an bezahlbarem Wohnraum. Das ist ein Segment, in dem vor allem kleine und mittelständische Unternehmen aktiv sind. Wenn Sie bei den aktuellen Grundstückspreisen nach deutschen Vorschriften Geschosswohnungen bauen, müssen Sie Mieten verlangen, die sich viele Familien nicht leisten können. Die Städte müssen günstiges Bauland zur Verfügung stellen, Bund und Länder müssen bei den Bauvorschriften kräftig entschlacken und durch steuerliche Anreize den Wohnungsbau attraktiver machen.
Wo drückt denn bei Ihnen der Schuh?
Instandhaltung und Ausbau der Infrastruktur sind in Deutschland jahrzehntelang vernachlässigt worden. Die Folgen spüren wir täglich. Straßensperrungen wegen maroder Brücken, Schienenersatzverkehr, katastrophale Zustände an vielen Schulen. Man könnte die Liste verlängern. Das Problem: Planung und Genehmigung dauern bei uns immer noch viel zu lange. Es sind zwar einige Beschleunigungsgesetze beschlossen worden. Es kommen aber noch zu wenige Projekte im Markt an. Erst wenn die Investitionen nachhaltig hochgefahren werden, können wir unsere Kapazitäten ausbauen.
Wie kann Deutschland die Instandhaltungslücke schneller schließen?
In Deutschland wird vom Staat geplant und dann ausgeschrieben. Andere Länder nutzen das Geld und das Know-how privater Anbieter viel besser. In den Niederlanden etwa schreibt der Staat eine Straße aus und lädt die Unternehmen ein, intelligente Lösungen zu entwickeln. Das beste Gesamtangebot erhält den Zuschlag. Der Preis spielt eine entscheidende Rolle. Es geht aber auch um Nachhaltigkeitskonzepte und eine optimierte Bauzeit.
Stichwort Nachhaltigkeit: Sie sind bei HOCHTIEF Chief Sustainability Officer. Welchen Stellenwert haben Umwelt, Soziales und Unternehmensführung in einem Baukonzern wie HOCHTIEF?
Etwa 50 % des Gesamtenergieverbrauchs und rund 38 % der weltweiten CO2-Emissionen entfallen auf die Bauindustrie. Vor diesem Hintergrund braucht die Welt von morgen eine dauerhafte, CO2-arme und klimaresiliente Infrastruktur, die in möglichst nachhaltiger Weise gebaut wird. Nachhaltigkeit bedeutet für uns, dass wir unseren ökologischen Fußabdruck so klein wie möglich halten, fundierte und verbindliche Standards guter Unternehmensführung umsetzen und unser soziales Engagement in allen unseren Tätigkeitsfeldern fördern.
Was bedeutet das konkret?
Wir zählen in unserer Branche weltweit zu den nachhaltigsten Anbietern. Unsere Ziele sind ehrgeizig: Unterm Strich wollen wir bis 2045 klimaneutral sein. Viele Zwischenziele werden wir schon viel früher erreichen und konnten den Energieverbrauch bereits deutlich reduzieren. Bis allerdings alle Produkte, die wir verarbeiten, klimaneutral hergestellt werden, ist es noch ein weiter Weg. Sie kennen die Debatte um grünen Stahl. Wir stehen im engen Dialog mit der Stahl-, Zement- oder Glasindustrie und arbeiten eng zusammen.
Als Personalchefin kämpfen Sie bestimmt auch um gute Fachkräfte?
Unser Unternehmen arbeitet an spannenden Themen und hat einen hervorragenden Ruf. Deshalb landen wir in Arbeitgeberrankings weit oben und finden nach wie vor geeignete Bewerberinnen und Bewerber. In einigen Bereichen müssen wir uns natürlich anstrengen. Das gilt für die Besetzung von Ausbildungsstellen in den klassischen Bauberufen, aber auch für Fach- und Führungspersonal mit viel Erfahrung in speziellen technischen Bereichen. Wir gehen neue Wege im Personalmarketing und wollen insgesamt bunter und heterogener werden. Dass bei uns Menschen mit unterschiedlichen Wurzeln und Orientierungen arbeiten, betrachten wir als Bereicherung. Vielfalt wirkt sich positiv auf die Motivation und Leistung unserer Teams aus.
Wo sehen Sie HOCHTIEF in einigen Jahren?
Wir wollen die Position von HOCHTIEF in unseren Kernmärkten konsolidieren und unsere Präsenz in schnell wachsenden Hightech-Märkten wie Rechenzentren, Batteriespeicher, nachhaltige Mobilität und Smart Cities, aber auch im Rohstoffsektor weiter ausbauen. Das tun wir durch organisches Wachstum, aber auch durch strategische Investitionen. Wir entwickeln uns insgesamt vom Bau- zum Technologiekonzern, der stolz auf seine Wurzeln ist.