Interview:Von Robotern über 3D-Druck – Klöckner hilft Marxloher Schülern bei der digitalen Teilhabe

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Laura Voss ReDI
2015 wurde das ReDI-Projekt in Berlin ins Leben gerufen. Unter der Leitung von Laura Voss (rechts im Bild) hilft ReDI seit 2020 auch Duisburger Schülerinnen und Schülern bei der digitalen Integration. Copyright: Chris Göttert Fotografie

Interview

Kerkhoff

Guido Kerkhoff

CEO von Klöckner & Co

In Kooperation mit dem 2015 in Berlin gegründeten digitalen Integrationsprogramm ReDI – eine Abkürzung für „Ready for Digital Integration“ – sowie fünf Grund- und weiterführenden Schulen in Marxloh setzt sich der Duisburger Stahlhändler Klöckner & Co sehr engagiert für die digitale Teilhabe von Kindern ein. Die ReDI-Stunden sind fester Teil des Stundenplans. Seit 2020 haben so schon rund 600 Schüler:innen in Duisburg einfache Programmiersprachen gelernt, mit Apps Buchprojekte verwirklicht oder eigene 3D-Drucke erstellt. Warum es sich für das Partnerunternehmen Klöckner & Co dabei um ein Herzensprojekt handelt, erzählen CEO Guido Kerkhoff und die Duisburger ReDI-Leiterin Laura Voss im Interview mit dem IR.

Herr Kerkhoff, warum setzt sich Klöckner & Co als Stahl- und Metallhändler für dieses Bildungsthema ein?

Guido Kerkhoff: Unsere Konzernzentrale befindet sich in Duisburg. Wir fühlen uns dem Standort verpflichtet und empfinden eine gesellschaftliche Verantwortung hier vor Ort. In Marxloh leben viele Kinder und Jugendliche aus einem schwierigeren sozialen Umfeld. Daher ist es uns bei Klöckner & Co wichtig, dass wir uns gerade dort für mehr soziale Teilhabe und Bildung einsetzen. Ein Lehrer der ReDI hat mir einmal gesagt, dass es in Marxloh keine Muttersprache geben würde. Stattdessen würde man viele unterschiedliche Sprachen parallel sprechen. Das ist eine große Herausforderung für alle Integrationsbemühungen. Deshalb konzentrieren wir uns darauf, Kinder mit Bildungsprogrammen möglichst früh in unsere Gesellschaft zu integrieren, sodass sie später ein selbstbestimmtes Leben führen können.

Wie sieht denn eine typische ReDI-Stunde aus?

Laura Voss: Eine typische ReDI-Unterrichtsstunde startet mit einer Begrüßungsrunde und einem Aufwärmspiel. Danach arbeiten unsere Schülerinnen und Schüler selbstständig oder in Gruppen an unterschiedlichen Themen. Besonders viel Spaß macht den Schülerinnen und Schülern beispielsweise die Programmierung eines Spiels, das Schreiben einer Geschichte oder eines digitalen Buches. In den weiterführenden Schulen werden komplexere Inhalte, beispielsweise der 3D-Druck, vermittelt. Unsere Angebote sind dabei immer so ausgerichtet, dass sie die Sprachkenntnisse fördern. Zum Schluss der jeweiligen Unterrichtseinheit werden die Ergebnisse in der Klasse vorgestellt und die Schülerinnen und Schüler bekommen wertschätzendes Feedback.

Seit wann gibt es ReDI und ist Ihre Unterstützung langfristig angelegt?

Guido Kerkhoff: Wir unterstützen das ReDI-Projekt als Hauptsponsor seit der Gründung im Jahr 2015 in Berlin. In Duisburg sind wir mit dem Programm im Jahr 2020 gestartet. Damals haben 67 Kinder teilgenommen, mittlerweile sind es 580 Kinder. Das ist ein großer Erfolg und spricht für das tolle Programm! Wir sind davon überzeugt, dass nur ein langfristig angelegtes finanzielles Engagement von Unternehmen solchen Projekten nachhaltig hilft. Deshalb möchten wir uns bei Klöckner & Co dauerhaft an der Seite der ReDI für mehr digitale Bildung einsetzen. Das schafft auch Planungssicherheit und Kontinuität für die Verantwortlichen.

Was kostet das Programm jährlich?

Guido Kerkhoff: Das Programm kostet einen niedrigen sechsstelligen Betrag im Jahr, wovon Klöckner & Co einen Großteil übernimmt. Ein Engagement in diesem Umfang ist schon einzigartig und kenne ich aus anderen Unternehmen nicht. Darüber hinaus ist Klöckner & Co beispielweise auch beim Education-Programm des Klavier-Festivals Ruhr als Sponsor aktiv. In dem schulübergreifenden Projekt begegnen sich junge Menschen zum gemeinsamen Tanzen und Musizieren. Ebenfalls ein sehr schönes Projekt, das Kinder in unterschiedlichen Lebensphasen aktiv begleitet.

Frau Voss, Sie leiten das ReDI-Programm, das es in Duisburg seit 2020 gibt. Wo liegen für Sie die besonderen Herausforderungen in diesem Stadtteil?

Laura Voss: 76 Prozent der Menschen in Marxloh haben eine Einwanderungsgeschichte, mehr als 90 Kulturen leben dort. Es ist also ein Stadtteil, der sehr divers ist. In der Öffentlichkeit wird Marxloh eher als „Problem-Stadtteil“ gesehen. Ich möchte hingegen von Besonderheiten, statt von Herausforderungen sprechen. Dort leben mittlerweile viele Menschen aus Südosteuropa, vor allem aus Rumänien und Bulgarien. Und – Herr Kerkhoff sagte es schon – es gibt hier keine Muttersprache. Der Stadtteil ist zudem ein sehr junger Stadtteil mit überdurchschnittlich vielen Kindern und Jugendlichen.

Das Programm richtet sich schon an Grundschüler:innen, die dort erste Erfahrungen mit Programmiersprachen machen. Warum setzt ReDI bereits so früh an?

Laura Voss: Die Kinder, die in Marxloh zur Schule gehen, waren oftmals nicht im Kindergarten. Wir sehen in den Grundschulen daher häufig mangelnde Sprachkenntnisse und fehlende praktische Fähigkeiten, beispielsweise beim Halten von Stiften oder Scheren. Das ist eine große Herausforderung. Aber wir sehen auch, dass zurückhaltende Kinder bei uns im Laufe der Zeit auftauen – sei es durch unsere motivierten Lehrkräfte oder die niedlich aussehenden Roboter, die bei uns im Unterricht zum Einsatz kommen.

Ich kenne kein anderes Projekt, welches so in den Schulalltag integriert ist.

Laura Voss

Das heißt, ReDI steht tatsächlich auf dem Stundenplan? Wie wird das Programm in den täglichen Schulalltag integriert?

Laura Voss: Das ist richtig. Wir stehen einmal pro Woche als „ReDI-Kids“ im Stundenplan. Ich kenne kein anderes Projekt, welches so in den Schulalltag integriert ist. Wir fragen die Lehrkräfte immer nach den Bedarfen und wollen wissen, was an dieser oder jener Schule beziehungsweise Klasse besonders gebraucht wird.

Sie sind 2020 mitten in der Corona-Pandemie gestartet. Jetzt gibt es wieder Präsenzunterricht. Wie nehmen Sie die Unterschiede bei den Kindern wahr?

Laura Voss: Der Distanzunterricht hat bei uns während der Pandemie sehr gut funktioniert, da wir auf digitalen Unterricht ausgerichtet sind. Was den Kursleitenden jetzt aber häufig auffällt: Die Kinder wissen nicht, wie Gruppenarbeit funktioniert. Das konnten die Kinder während der Pandemie nicht üben. Da merken wir natürlich, dass die Kinder in den letzten Monaten viel zu Hause waren.

Wie hat sich das Projekt in den letzten Jahren entwickelt? Gibt es messbare Erfolge?

Laura Voss: Wir betreuen heute mit fünf Kursleitenden knapp 580 Kinder an fünf Schulen. Das ist ein toller Erfolg für uns. Wir entwickeln uns ständig weiter und passen unser Konzept immer wieder an. Zum Beispiel haben wir jetzt ein „Train the Teacher“-Konzept entwickelt, damit sich auch unsere Lehrkräfte weiterbilden können.

Herr Kerkhoff, Sie konnten sich beim letzten Tag der offenen Tür, dem „Demo Day“, selbst ein Bild von ReDI vor Ort machen. Wie war Ihr Eindruck?

Guido Kerkhoff: Der Demo Day ist etwas ganz Besonderes. Es ist toll zu sehen, wie stolz die Kinder ihre Ergebnisse präsentieren. Beispielsweise werden Videos gezeigt, die fächerübergreifend im Unterricht eingesetzt werden. Da können auch die Lehrkräfte noch etwas lernen. Eines möchte ich aber sehr deutlich herausstellen: Wir sind mit ReDI zwar im Stundenplan angekommen, aber nicht im Lehrplan. Mit einem klassischen Lehrplan aus Nordrhein-Westfalen werden wir in Marxloh keinen Erfolg haben. Da betreut eine Lehrkraft 30 Kinder, die alle unterschiedliche Sprachen sprechen. Deshalb ist auch das „Train the Teacher“-Konzept so wichtig. In diesem Programm werden Lehrerinnen und Lehrer dabei unterstützt, mit diesen besonderen Herausforderungen umzugehen. So erhalten sie unter anderem Tipps von anderen Lehrkräften, die zum Teil selbst in Marxloh aufgewachsen sind und genau wissen, was hier gebraucht wird.

Herr Kerkhoff, warum engagieren sich die lokalen Unternehmen gerade in Duisburg gerne direkt vor Ort?

Guido Kerkhoff: Duisburg ist eine Stadt, die durch ihre Lage, ihre Industrie und ihre Logistik lebt. Jeder dritte Container, der in Europa umgeschlagen wird, kommt durch Duisburg. Das prägt diesen Ort. Und die Menschen identifizieren sich hier – typisch Ruhrgebiet – sehr stark mit ihrer Stadt und der Umgebung. Das schlägt sich auch in der Wirtschaft nieder: Die Unternehmen fühlen sich dem Standort verpflichtet und wollen mitgestalten. Ich finde das beeindruckend. Das große Engagement zeigt den Zusammenhalt in der Region und stellt sicher, dass sich die Stadt immer weiterentwickelt.

Frau Voss, wie sind Sie der Herausforderung der vielen geflohenen ukrainischen Familien in den letzten Monaten begegnet?

Laura Voss: Wir hatten im letzten Jahr mit dem „PlayTech Summer Camp“ am Duisburger Lernbauernhof Ingenhamms Hof ein tolles Projekt, das wir gemeinsam mit der AWO unterstützt haben. Dort haben wir mit 50 Kindern und Jugendlichen aus der Ukraine programmiert und deren Sprachkenntnisse verbessert. Das Projekt war in den Sommerferien und viele Kinder konnten danach in die Schule gehen. Auch aktuell haben wir ein Programm speziell für ukrainische Kinder und Jugendliche. Allerdings an anderer Stelle, da in Marxloh weniger Ukrainerinnen und Ukrainer ankommen als in anderen Städten.

Laura Voss 3

Gibt es eigentlich schon Interessierte aus anderen Städten oder Stadtteilen, die sich auch für das ReDI-Programm interessieren?

Laura Voss: Es gibt tatsächlich Anfragen aus anderen Duisburger Stadtteilen. Das ist aber alles noch nicht spruchreif. Derzeit arbeiten wir beispielsweise an einem schulübergreifenden Konzept für den „Digitalen Führerschein“. Mit diesem Führerschein können Kinder digitale Kompetenzen erwerben. Wenn dieses Konzept startet, ist das sicherlich etwas, was in anderen Stadtteilen adaptiert werden kann.

Wie groß erleben Sie den Bedarf an digitaler Bildung, sowohl bei den Schüler:innen als auch bei der Qualifizierung der Lehrkräfte?

Laura Voss: Marxloh ist bei der Digitalisierung gut unterwegs: Die Internetabdeckung ist vorbildlich und die Stadt hat letztes Jahr Tablets für alle Schülerinnen und Schüler gestellt. Wir sehen aber häufig, dass Technik und Ausstattung zwar vorhanden sind, das Wissen aber noch fehlt. Viele Lehrkräfte konnten beispielsweise mit den durch die Stadt ausgegebenen Apple-Geräten nicht umgehen. Sie haben zuvor nur mit Microsoft-Rechnern gearbeitet. Wir haben es uns zur Aufgabe gemacht, diese Lücke zu schließen.

Herr Kerkhoff, welchen Mehrwert hat das ReDI-Projekt denn für Klöckner & Co als Unternehmen?

Guido Kerkhoff: Für uns geht es nicht um den direkten Mehrwert für uns als Unternehmen. Wir bei Klöckner & Co sehen uns als Teil der Gesellschaft und möchten etwas von unserem Erfolg zurückgeben. Dass wir uns dabei besonders auf die Themen Digitalisierung und Bildung konzentrieren, liegt daran, dass wir uns bei diesen Themen gut auskennen: Klöckner & Co ist Vorreiter der digitalen Transformation der Stahlindustrie und hat es in den vergangenen Jahren geschafft, seinen Mitarbeitern digitale Fähigkeiten zu vermitteln. Unsere Erfahrungen sind somit auch unser Ansporn. Denn digitale Bildung ist aus meiner Sicht eine wichtige gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die uns als Land zukunftsfähig machen wird. Genau deswegen finde ich das ReDI-Programm so herausragend.

Vielen Dank für das Interview und weiterhin viel Erfolg!