Interview:„Wir brauchen eine Umsetzungsagenda“ - E.ONs Beitrag zur erfolgreichen Energiewende

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„Die vor uns liegende Transformation der Wirtschaft schafft viele Chancen für Menschen, die arbeiten und gestalten wollen.“ Fotocredit: E.ON SE

Interview

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Leonhard Birnbaum

Vorstandsvorsitzender der E.ON SE

Im Ruhrgebiet sind alle Unternehmen vertreten, die wir für eine erfolgreiche Energiewende brauchen, sagt der E.ON-Vorstandsvorsitzende Leonhard Birnbaum. Im Interview spricht er darüber, wie die Energiewende in Europa und auch ganz konkret im Ruhrgebiet gelingen kann, welche Investitionen E.ON auf diesem Weg unternimmt und welche gesellschaftliche Kultur wir für eine erfolgreiche grüne Transformation noch mehr brauchen.

E.ON meldete für das erste Halbjahr einen Rekord-Nettogewinn von 2,3 Milliarden Euro, steigerte seine Gewinnprognose für das Gesamtjahr. Dadurch gibt es auch einen höheren Investitionsspielraum für den Ausbau der Netze und Kundenlösungen. Wie groß ist der Investitionsbedarf in den kommenden Jahren und welche Schwerpunkte setzt E.ON dabei?

Die Energiekrise, die durch den Angriffskrieg auf die Ukraine ausgelöst wurde, und der Klimawandel, der sich mittlerweile massiv bemerkbar macht, machen uns allen unmissverständlich klar, dass wir die Dekarbonisierung der gesamten Wirtschaft, die Energiewende und insbesondere den Ausbau der Infrastruktur massiv beschleunigen müssen. Für unser E.ON-Geschäft bedeutet das großes Wachstumspotenzial, vor allem in unserem europäischen Verteilnetzgeschäft. Ich will das einmal an ein paar Zahlen festmachen. Allein bei E.ON müssen wir bis 2030 insgesamt 6 Millionen Anschlüsse an unsere Netze herstellen, das ist alle 7 Sekunden ein Anschluss. Europaweit beträgt der Investitionsbedarf in Verteilnetze, in denen der Übergang für Mobilität und Heizung stattfindet, nach Schätzung der EU-Kommission rund 600 Milliarden Euro bis zum Ende dieses Jahrzehnts! Durch unser solides finanzielles und bilanzielles Fundament können wir unseren Beitrag zu dieser Aufgabe leisten. Wir haben unser Investitionsprogramm von 27 Milliarden Euro auf insgesamt 33 Milliarden Euro bis 2027 ausgeweitet. Damit untermauern wir unseren Anspruch, ein führender Treiber und Gestalter der beschleunigten Energiewende in Europa zu sein.

Wie investiert E.ON in das von der Industrie geprägte Ruhrgebiet?

Schwerpunkt ist im Ruhrgebiet, wie überall in Europa, natürlich der Ausbau der Verteilnetze. Diese Region ist aber nach wie vor von energieintensiven Industrien geprägt, insofern sind hier innovative, klimaschonende Kundenlösungen natürlich besonders gefragt. Ein besonders anschauliches Projekt realisieren wir in Duisburg, in einer ganz „volkstümlichen“ Branche: Geplant ist, industrielle Abwärme von thyssenkrupp Steel durch eine neue, von E.ON gemanagte Dampfübernahmeleitung in die König-Brauerei zu führen, um so die für die Brauereiprozesse benötigte thermische Energie bereitzustellen. Ein weiteres Beispiel – an dem unsere Energielösungen für wohn- und Geschäftsquartiere verdeutlicht wird – ist der Shamrockpark in Herne. Hier entsteht mit Partnern im Quartier ein einmaliges System für die Wärme- und Kälteversorgung. Vorgesehen ist der Bau eines kalten Nahwärmenetzes, das unter anderem Abwärme aus einem angrenzenden Chemiewerk nutzt.

Dass Energiekonzerne wie E.ON derzeit solche Gewinne einfahren, zugleich aber die privaten Haushalte und die Industrie mit den hohen Energiepreisen kämpft, wird gesellschaftspolitisch intensiv diskutiert. Was entgegnen Sie dem vielfach gebrauchten Bild des Krisengewinners?

Erstens, den weitaus größten Teil unseres Gewinns erzielen wir in den Netzen. Diesen Gewinn brauchen wir auch, denn wir können nicht 6 bis 7 Milliarden Euro pro Jahr investieren, wenn wir nicht auch entsprechend verdienen. Anders als die EZB können wir kein Geld „drucken“.

Zweitens sind wir der zuverlässige Energiepartner unserer Kundinnen und Kunden, insbesondere auch seit mehr als eineinhalb Jahren in der Krise. Als Grundversorger haben wir nicht nur zehntausende Verbraucher aufgefangen, die von ihren Anbietern plötzlich nicht mehr beliefert wurden – wir haben die massiven Preissteigerungen an den Großhandelsmärkten für unsere Kunden auch sehr lange abgefedert: Unsere vorausschauende Einkaufsstrategie hat die plötzlichen und extremen Preisanstiege an den Energiemärkten für die Kunden abgeschwächt. Und wie versprochen passen wir jetzt, wo wir erste Signale für stabilere Märkte sehen, auch die Preise wieder an – nach unten.

Auf dem Weg zur Klimaneutralität brauchen wir in den nächsten Jahren in jedem Fall gewaltige Anstrengungen. Welche Herausforderungen sehen Sie auf diesem Weg? Müssen wir sogar mit anhaltend hohen Energiepreisen und einer schleichenden Deindustrialisierung rechnen?

Wir brauchen eine Umsetzungsagenda! Entscheidend ist es, dass wir in Deutschland und Europa die grüne Transformation schaffen und zugleich unsere Wettbewerbsfähigkeit behalten. Nur dann werden wir ein Beispiel für die Welt werden. Ansonsten sagt der Rest der Welt, das ist zwar ein schönes Modell, aber das können wir uns nicht leisten. Zu viele Gesetze und Vorschriften verhindern dabei momentan ein schnelles Umsetzen. Sie überfordern Teile von Wirtschaft und Bevölkerung und sie gefährden den Rückhalt für die Energiewende. Man darf die Menschen nicht bevormunden, man muss sie gewinnen. Bürgerinnen und Bürger, Unternehmen, auch kleinere Betriebe müssen erkennen, bei der Energiewende ist etwas drin für uns, für unseren Alltag, für unsere wirtschaftliche Situation. Die Zukunft von Europa kann nur lauten: Pragmatismus, Innovationsfreundlichkeit, Technologieoffenheit und Optimismus. Ich glaube, wenn wir das hinbekommen, haben wir eine Chance, erfolgreich zu sein.

Wann können wir realistisch damit rechnen, dass grüne Energie in einem Umfang verfügbar ist, dass klimafreundliche Geschäftsmodelle – auch ohne staatliche Subventionierung – profitabel werden?

Erneuerbare Energien werden sich weiter durchsetzen, denn sie sind schon heute teils günstiger als fossile Energie. Durch CO2-Bepreisung preisen wir die Umweltkosten der alten Energien ja erfolgreich ein, sodass sich Erneuerbare schon heute in weiten Teilen „rechnen“. Das gilt erst insbesondere auch für Privatkunden, die ja auch immer stärker in nachhaltige Energielösungen investieren.

Welche Rolle kommt dem Ruhrgebiet bei der Bewältigung dieser großen Energietransformation zu? Kann die Region Vorreiter sein, womöglich sogar grünste Industrieregion der Welt werden?

Das Ruhrgebiet ist prädestiniert, bei dieser Transformation voranzugehen. Erstens erfindet sich das Ruhrgebiet seit Jahrzehnten immer wieder neu. Und zweitens ist diese Region wie keine andere in Europa mit Energie verbunden. Hier sind alle Unternehmen vertreten, die wir für eine erfolgreiche Energiewende brauchen. Und damit meine ich nicht nur E.ON, RWE & Co – sondern auch die großen Energieverbraucher wie Evonik, ThyssenKrupp, die großen Wohnungsunternehmen wie Vonovia oder Vivawest. Damit die umfassende Energietransformation gelingen kann, müssen wir alle Sektoren zusammendenken und als Unternehmen auch gemeinsam agieren. Hier kommt im Übrigen auch dem Initiativkreis eine Schlüsselrolle zu. Unter seinem Dach finden wir alle Akteure, die für diesen Umbau gebraucht werden, und wir arbeiten auch bereits erfolgreich zusammen, damit von dieser Region erneut Impulse ausgehen können. Und – um auf die ersten beiden Fragen zurückzukommen - die Infrastruktur für Strom und Wasserstoff wird hierbei eine entscheidende Rolle spielen.

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Der Essener Hauptsitz E.ON im Herzen des Ruhrgebiets. Fotocredit: E.ON SE

Nach ihrem Studium in Karlsruhe und Cottbus, wo sie später als Ingenieur promovierten, und beruflichen Stationen u.a. in Houston, sind Sie seit mehr als einem Jahrzehnt beruflich im Ruhrgebiet beheimatet und seit 2021 CEO von E.ON. Was gefällt Ihnen persönlich besonders am Ruhrgebiet und womit können Sie sich andererseits gar nicht anfreunden?

Auch wenn das fast ein Klischee ist: Mir gefallen die Menschen hier und ihr pragmatischer Drive, dieses Ruhrgebiet zu einer lebenswerten Region zu machen. Hier greift ein Bürgermeister zum Telefon, wenn er etwas bewegen will, und spricht Klartext. Vor allem schätze ich das unglaublich breite und hochklassige kulturelle Angebot, auf dem Feld hat die Region wirklich Metropolen-Niveau. Was mich aber bedrückt, wenn ich hier unterwegs bin, sind die großen sozialen Unterschiede und die wachsende Armut in vielen Stadtteilen und Städten, marode Infrastruktur und Schulen. Das dürfen wir so nicht hinnehmen. Aber ich bin auch dabei optimistisch: Die vor uns liegende Transformation der Wirtschaft schafft viele Chancen für Menschen, die arbeiten und gestalten wollen. Wir müssen dies aber gemeinsam angehen, und zwar mit allen Akteuren der Zivilgesellschaft. Mit Projekten wie Innovation City Ruhr haben die Unternehmen ja schon einmal bewiesen, dass diese Region zu solchen Kraftakten fähig ist, und das neue Leitprojekt Urbane Zukunft Ruhr adressiert genau die Herausforderungen der Zukunft.