Interview:„Wir erfinden uns einmal mehr neu!“ - STEAG auf dem Weg zur Energiewende

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Fotocredit: STEAG

Interview

Dr. Andreas Reichel

Dr. Andreas Reichel

Vorsitzender der Geschäftsführung, STEAG & IQONY GmbH

Keine andere Region in Deutschland hat vergleichbare Chancen, den neuerlichen Strukturwandel so erfolgreich und positiv zu gestalten wie das Ruhrgebiet. Die nach wie vor industriell geprägte Region hat das Zeug dazu, Wasserstoffkernregion Europas zu werden. Eines der Unternehmen, dass sich nach Kräften bemüht, diese Vision Realität werden zu lassen, ist STEAG bzw. deren Tochtergesellschaft Iqony. Wir sprachen mit Dr. Andreas Reichel, Vorsitzender der Geschäftsführung und Arbeitsdirektor beider Gesellschaften, über die Transformation seines Traditionskonzerns, die Entwicklung des Ruhrgebiets und wie Wasserstoff mit beidem zusammenhängt.

Nach wirtschaftlich schwierigen Jahren zeigen sich STEAG bzw. Iqony zuletzt gut erholt. Wo steht der Konzern aktuell? Und wo soll es in Zukunft hingehen?

Es stimmt, hinter dem Konzern und seinen Beschäftigten liegen anstrengende Jahre: Wir mussten uns auf die Folgen des Kohleausstiegs in Deutschland einstellen, uns strategisch und organisatorisch komplett neu aufstellen und haben zuletzt einen Verkaufsprozess durchlaufen – und das nicht nacheinander, sondern zeitgleich und parallel. Dass uns das gelungen ist, und wir uns wirtschaftlich wieder erkennbar stabilisiert haben, ist ein immenser Erfolg – v. a. unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Für die Zukunft bleibt – um es mit Herbert Grönemeyer zu sagen – alles anders: Wir sorgen auch weiterhin für sichere Energieversorgung, aber auf Grundlage anderer Energieträger und -quellen: Wir setzen kurzfristig auf Erdgas und langfristig auf Wasserstoff, den wir zudem noch an verschiedenen Stellen im Ruhrgebiet verbrauchsnah erzeugen. Das hilft der regionalen Industrie und dem Mobilitätssektor, klimaneutral zu werden.

Was heißt das konkret? Was dürfen wir von STEAG und Iqony erwarten?

Wir haben drei große Kraftwerksstandorte im Revier, die von Duisburg-Walsum ganz im Westen bis nach Bergkamen im Kreis Unna bis in den Osten des Reviers reichen. Dazu mittendrin noch Herne. An allen drei Standorten planen wir schon heute die Energiewirtschaft von morgen. Dabei spielt Wasserstoff eine bedeutende Rolle.

Gehen wir es im Einzelnen durch: In Walsum, im äußersten Westen des Ruhrgebiets, wollen wir das bestehende Steinkohlekraftwerk auf einen anderen Energieträger umrüsten, weil wir uns zum Ziel gesetzt haben, 2026 aus der Steinkohleverstromung in Deutschland auszusteigen. Zusätzlich soll in Walsum ein Großbatteriespeicher mit einer Leistung von 250 Megawatt (MW) und einer Kapazität von einer Gigawattstunde (GWh) entstehen, um die Netz- und Marktintegration von Strom aus erneuerbaren Energien zu erleichtern. Und schließlich planen wir ebenfalls in Walsum den Bau eines Elektrolyseurs mit einer Kapazität von bis zu 500 Megawatt (MW). Dieser Wasserstoff wäre eine große Hilfe für zahlreiche Unternehmen vor Ort und in der Region, um ihre Prozesse zu dekarbonisieren, d.h. klimaneutral zu werden.

In Bergkamen, am anderen Ende des Ruhrgebiets, planen wir auch mit Wasserstoff, allerdings nicht im Sinne einer Erzeugung vor Ort, sondern mittels Importen in Form von Ammoniak, der dann vor Ort entweder in Wasserstoff umgewandelt wird oder im Rahmen eines Pilotprojekts mit verschiedenen Partnern direkt als Brennstoff zum Einsatz kommt. Und schließlich soll dort ein neues, wasserstofffähiges Gaskraftwerk entstehen – gewissermaßen eine technische Brücke in eine perspektivisch klimaneutrale Energiezukunft.

Dass wir so etwas können, auch unter herausfordernden Bedingungen, haben wir erst jüngst in Herne unter Beweis gestellt: Ende 2022 ging nach nicht ganz drei Jahren Bauzeit genau ein solches hocheffizientes Gas- und Dampfturbinenkraftwerk in Betrieb – und das trotz Corona-Pandemie und weltweit gestörter Lieferketten „in time and budget“. Man sieht: Wir können, wenn man uns lässt!

Das klingt, als stünde den Plänen für die angesprochenen Projekte noch etwas im Weg. Ist das so – und wenn ja: Was verhindert die Realisierung Ihrer Pläne?

Sowohl beim Thema Wasserstoff als auch beim Neubau von wasserstofffähigen Gaskraftwerken warten wir – und nicht nur wir, sondern die gesamte Branche – seit geraumer Zeit auf eine entsprechende Regel- und Rahmensetzung durch die Politik. Ohne eine klare Regulatorik gibt es keine Investitionssicherheit – und ohne Investitionssicherheit gibt es hier keine Investitionen. Das wäre das Ende der Energiewende, was niemand wollen kann. Daher appellieren ich und zahlreiche andere Branchenvertreter auch immer wieder und mit zunehmendem Nachdruck, dass hier endlich Entscheidungen getroffen werden müssen, denn die Zeit drängt.

Warum sehen Sie einen so immensen Zeitdruck bei dem Thema? Ist es nicht auch ein Argument, dass ein so tiefgreifender Umbau unserer Energiesysteme mit der nötigen Sorgfalt vorbereitet sein will?

Im Prinzip gebe ich Ihnen da recht, doch die Bedarfe sind seit langem bekannt. Die Politik hat allerdings leider bisher nicht gehandelt und sich daher nun selbst unter vermeidbaren Zeitdruck gesetzt. Ich gebe ein Beispiel: Die Bundesregierung selbst kalkuliert mit bis zu 25 Gigawatt an neuer Kraftwerksleistung bis 2030, die nötig ist, um die Energiewende erfolgreich zu gestalten und den vorgezogenen Ausstieg auf der Kohleverstromung zu ermöglichen. In der Zeitrechnung von Kraftwerksprojekten ist 2030 quasi übermorgen: Man kalkuliert den Zeitaufwand üblicherweise nach der 1-2-3-Regel: Ein Jahr Planung, zwei Jahre Genehmigung, drei Jahre Bau – macht zusammen sechs Jahre. 2030 minus sechs ergibt 2024 – und das steht mit Blick auf den Kalender ja gewissermaßen schon vor der Tür. Das heißt, wir brauchen hier schnell Klarheit, unter welchen Bedingungen der Zubau an neuer Kraftwerksleistung erfolgen soll. Dabei muss klar sein, dass angesichts des parallel erfolgenden Ausbaus der erneuerbaren Energien diese Kraftwerksleistung zwar zur Absicherung unserer Energieversorgung benötigt wird, wenn die Energien aus Wind und Sonne einmal nicht in hinreichendem Maß zur Verfügung stehen. Zugleich ist auch absehbar, dass diese neuen Kraftwerke aber auch nicht hinreichend oft in Betrieb sein werden, um allein auf diesem Wege ihre Investitionskosten wieder einzuspielen. Das bedeutet: Wenn man trotzdem private Investitionen will, obwohl die sich nach dem derzeit existierenden Marktmodell schlicht nicht mehr rentieren, muss man das Marktmodell verändern. Konkret heißt das: Es wird künftig nicht allein die Energie vergütet, die ein Kraftwerk erzeugt, sondern die – notwendige – Bereitstellung der Erzeugungsleistung an sich wird entlohnt. Wie ein solcher Markt für gesicherte Leistung funktionieren kann, zeigt ein Blick z. B. auf unsere belgischen Nachbarn. Und darauf setzen wir auch für Deutschland.

Und beim Wasserstoff?

Hier gibt es die feste Absicht einhellig aller Akteure, Wasserstoff zu nutzen, um unsere Volkswirtschaft klimaneutral zu machen. Das ist nicht nur ein wichtiger wettbewerblicher Aspekt, sondern mit Blick auf die Klimaziele eine grundlegende Aufgabe. In der Theorie ist prinzipiell klar, dass viele Prozesse in der Industrie und der Energiewirtschaft mit Wasserstoff dekarbonisiert werden können. Aber wo kommt der Wasserstoff her und wie kann er im Wettbewerb mit anderen Energieträgern bestehen? Da es noch keinen funktionierenden Markt für Wasserstoff gibt, braucht es hier insbesondere für die Hochlaufphase der neuen Technik entsprechende Spielregeln, die nur die Politik setzen kann. Und weil die Umstellung unserer gesamten Volkswirtschaft auf Wasserstoff nicht nur die Energiebranche, also die Erzeugerseite, berührt, sondern auf Abnehmer- und Anwenderseite nahezu alle Branchen, ist dieses Thema auch für das Ruhrgebiet von entscheidendem Interesse. Es gibt viel Aktivität rund um das Thema, doch ohne verbindliche Regeln, Förderkulissen und die Schaffung eines sicheren Investitionsumfelds wird sich auch bei diesem Thema nur langsam etwas tun, während andere Teile der Welt hier schon viel weiter sind. Wir – und mit uns viele andere engagierte Unternehmen – wollen endlich loslegen, aber wir sind derzeit zum Warten verdammt. Aber immerhin liegen nun schon einmal die Pläne für das Wasserstoffkernnetz auf dem Tisch. Das ist ein erster, wichtiger Schritt, aber es darf nicht der letzte sein, sondern weitere müssen folgen, damit wir endlich Geschwindigkeit aufnehmen.

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Warum ist das Thema Energie und die Energiewende gerade für das Ruhrgebiet so elementar wichtig?

Das Ruhrgebiet hat, wie eine jüngst veröffentlichte Studie des RVR zeigt, ideale Voraussetzungen, Wasserstoffmodellregion zu werden. Warum? Weil wir hier Industrie und Energiewirtschaft nah beieinanderhaben, sodass die Voraussetzungen für einen Markthochlauf der Wasserstoffwirtschaft viel besser sind als andernorts. Zugleich ist das Ruhrgebiet auch so etwas wie ein Reallabor der Energiewende – frei nach Frank Sinatra: „If you can make it there – you’ll make it anywhere!“ Will sagen: Wenn es gelingt, die Energiewende hier erfolgreich umzusetzen, dann hat das Vorbildcharakter für andere Städte und Regionen. Nehmen wir etwa noch das Thema „Kommunale Wärmeplanung“ hinzu: Das ist eine enorme Aufgabe, die auch uns als Unternehmen betrifft: Wir sind mit rechnerisch 275.000 versorgten Haushalten im Ruhrgebiet einer der größten Fernwärmeversorger Deutschlands. Und wir sind mit den Kommunen, in denen wir unsere Wärmenetze betreiben, bereits im intensiven Austausch, wie wir durch einen Ausbau der Fernwärmeversorgung bei der kommunalen Wärmewende unterstützen können – während wir gleichzeitig intensiv daran arbeiten, unsere Wärme klimaneutral zu machen, dabei aber die Versorgungssicherweit weiterhin uneingeschränkt zu gewährleisten. Bis 2040 wollen wir das geschafft haben. Das ist eine ehrgeizige Aufgabe, aber wir haben großes Zutrauen in unsere Fähigkeiten.

Auch wenn Scheitern bei diesem Thema keine Option ist: Warum sind Sie überzeugt, dass diese Transformation im Ruhrgebiet glückt?

Kurz gesagt: Eben weil wir im Ruhrgebiet sind. Die Region und die Menschen, die hier leben, sind Transformation gewöhnt. Es mag eine Binsenweisheit sein, aber der stete Wandel ist in der Region das einzig beständige. Von der Montanregion haben wir uns zur Hochschul- und Wissenschaftslandschaft gewandelt, neue Branchen haben sich angesiedelt, ohne dass die alten ganz verschwunden sind, sich aber auch weiterentwickelt und mit der Zeit den veränderten Bedingungen angepasst haben. Und diese Melange aus Tradition und Innovation macht den Kern, das Wesen des Ruhrgebiets aus. Das spiegelt sich in den städtischen Landschaften ebenso wie in der Mentalität der Menschen. Und das ist das Kapital, mit dem wir wuchern können, wenn wir die anstehenden Aufgaben der Energiewende angehen und positiv gestalten wollen. Wir erfinden uns einmal mehr neu – das gilt für das Ruhrgebiet wie auch für unser Unternehmen, das sich seit mehr als 85 Jahren mit der Branche insgesamt weiterentwickelt. Wir kennen Wandel und wir können Wandel, man muss uns nur lassen.